CDU Wiesloch

Die Stasi diffamierte sie als „Sportverräter“

Tag der deutschen Einheit: Vortrag über die Flucht von Spitzensportlern aus der ehemaligen DDR

Wiesloch. (hds) Es waren wohl über 600 Fälle: Spitzensportler aus der ehemaligen DDR, die dem System den Rücken kehrten und eine neue Zukunft im Westen suchten. Dazu referierte René Wiese am Tag der Deutschen Einheit im Bürgersaal des Alten Rathauses. Er sprach auf Einladung des CDU-Stadtverbands über Motive und Begleitumstände, warum sich Hunderte von Sportlern „wegmachten“. Unter dem Titel „ZOV Sportverräter – Spitzenathleten auf der Flucht“ gab er einen umfassenden Einblick in die tatsächlichen Geschehnisse, die damals vom Regime in Ostberlin oft verschwiegen oder anders dargestellt wurden. Zuvor hatte der CDU-Stadtverbandsvorsitzende Jörn Döring an den Tag des Mauerfalls vor 25 Jahren erinnert und betont, mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs „ist eine jahrzehntelange Unordnung wieder geordnet worden“. 

Die Veranstaltung war gut besucht.Die Veranstaltung war gut besucht.
Wiese, Vorsitzender des Zentrums deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg und einer der wissenschaftlichen Leiter einer Ausstellung, die seit 2011 in deutschen Landen unterwegs ist, zeigte an vielen Einzelbeispielen auf, welchen Repressalien die geflüchteten Sportler ausgesetzt waren. „Sie wurden beobachtet, Familie und Verwandte gerieten unter Druck und selbst Mütter wurden benutzt, um ihre Kinder zu einer Rückkehr in die DDR zu bewegen.“ Der Wissenschaftler sprach von verschiedenen Grundmustern des sich Absetzens. Zum einen waren es ganze Mannschaften, die Auslandsaufenthalte nutzten, um den Weg in die Freiheit zu finden.
 
Aber viele waren auch auf sich alleine gestellt, brachten sich selbst in Lebensgefahr, um den Weg in eine andere Lebensqualität anzutreten. Besonders beeindruckend war das Beispiel des Schwimmers Axel Mitbauer. Der Spitzenathlet schwamm über die Ostsee in die Freiheit und wurde, auf einer Boje sich ausruhend, von einem westdeutschen Fährschiff aufgenommen und nach Travemünde gebracht. René Wiese nutzte Elemente aus der Ausstellung und spielte Statements von Sportlern ein. Er zeigte auch die Propagandamaschinerie des ostdeutschen Regimes auf, das Schlagzeilen wie „In den Fängen von Menschenjägern“ veröffentlichen ließ. Klares Ziel: Der Westen sollte als Initiator dieser nicht in die Philosophie passenden Absetzungsaktivitäten abgestempelt werden.
 
Aber auch der westdeutsche Boulevard ließ keine Gelegenheit aus, damals über die teilweise spektakulären Fluchten ausführlich zu berichten. So gelang dem Leichtathleten Jürgen May gegen Ende der 60er Jahre die „Ausreise“ über Ungarn – und das versteckt im Kotflügel eines amerikanischen Straßenkreuzers. Allen, die den Weg in die Freiheit wählten, wurden später Titel und Rekorde aberkannt, selbst Fotos wurden manipuliert und in einem Fall gar die Auszeichnung „Sportler des Jahres“ an den Zweitplatzierten weitergereicht. Auch über die Episode in einem Waschraum sprach Wiese, als der westdeutsche Turner Eberhard Gienger von seinem DDR-Konkurrenten Wolfgang Thüne angesprochen wurde, ihm doch bei seiner Flucht zu helfen. Gienger chauffierte den Sportler in seinem Opel Manta unerkannt über die Grenze und man vereinbarte Stillschweigern. Thüne, das bekannte er offen, war die Angst vor einem möglichen Versagen im Wettkampf unerträglich geworden. Erst nach der Wiedervereinigung lüfteten beide das Geheimnis.
 
Insgesamt 15 Einzelschicksale sind in der Ausstellung zusammengetragen, so auch der Fall des Fußballers Falko Götz, der ein Auswärtsspiel seines Teams bei Partizan Belgrad nutzte, um sich abzusetzen, damals mithilfe der deutschen Botschaft. Um den tödlichen Unfall des ebenfalls geflüchteten Fußballers Lutz Eigendorf ranken sich nach wie vor Gerüchte, ob da nicht die Staatssicherheit „die Finger mit im Spiel gehabt hat“.
 
Für viele war der Leistungsdruck, der vom System ausgeübt wurde, ein entscheidender Faktor, sich in den ideologisch verfemten Westen zu begeben. Zweite Plätze zählten oftmals nicht, vor allem dann, wenn ein westdeutscher Sportler die Nase vorn hatte. Wiese ließ auch das Thema „Doping“ nicht unberührt. So war es verständlich, dass vor allem jene Sport-Flüchtlinge an den Pranger gestellt wurden, die über die Doping-Machenschaften nach ihrem „Wechsel“ in den Westen Aufklärung betrieben.
 
Am Ende lüftete Wiese auch das Geheimnis seines Vortragstitels. „ZOV“ steht für „Zentral operativer Vorgang“. Dahinter verbargen sich die Aktivitäten der Stasi, das Problem der „Verräter“ in den Griff zu bekommen. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Nathalie Rieger am Klavier.
 
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Die CDU Wiesloch bedankt sich bei dem Autor für die Erlaubnis den Artikel zu veröffentlichen.