Schon der Flieger von Berlin nach Frankfurt hatte Verspätung und der Verkehr von der Bankenmetropole bis nach Dielheim war laut seiner eigenen Aussage „erstaunlich“: Günther H. Oettinger, seit 2014 EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft und ehemaliger Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, kam mit einer rund 30-minütigen Verspätung im Gemeindehaus Horrenberg an, in welchem rund 60 Zuhörer vor Ort waren. Das Warten hat sich definitiv gelohnt, die zahlreichen Gäste erlebten einen bestens aufgelegten Redner, der sich der vielfältigen Themen der aktuellen Politik widmete, Klartext sprach und mit Wortwitz begeisterte.
Günther H. Oettinger in Dielheim am 19.2.16 Deutschland habe seit 70 Jahren Frieden, so Oettinger zu Beginn, allerdings sei Europa „umzingelt von Gebieten der Instabilität“. „Jetzt male ich mal den Worst Case : Wenn der Putin auf die Idee kommt, mit grünen Männchen den Krieg zu entfachen im Donbass-Gebiet – schon jetzt sind 1 Million Ukrainer in Polen als Flüchtlinge –, dann laufen, wenn der Krieg kommt, fünf Millionen Ukrainer los. Und der Weg von Kiew oder Donezk ist im Vergleich zu Aleppo nach Deutschland ein kurzer. Aufhalten wird die niemand. Oder Palästina. Die Palästinenser haben Jahrzehnte auf eine Unabhängigkeit ihres Staates in Nachbarschaft zu Israel gehofft. Da wurden immer von beiden Seiten Fehler gemacht, da gab es Terroristen bei den Palästinensern, da hat Netanjahu, und er hat eine besondere Verantwortung für Israel, mit seiner Siedlungspolitik und hohen Zäunen und keine Chance für Palästina den jungen Palästinensern ihre Vision zu einer Illusion gemacht. Die glauben nicht, dass sie dort eine Familie und eine Existenz aufbauen können, also wollen sie gehen. Sie sind die Hugenotten der Gegenwart“, so Oettinger.
Der CDU-Politiker weiter: „Und dass Sie in Dielheim, im Rhein-Neckar-Kreis, in der Region Kurpfalz, oder hier in den Gebieten zwischen Heilbronn, Eppingen und Karlsruhe geboren und aufgewachsen sind, im Kraichgau, ist doch nicht von Ihnen so entschieden worden, und auch nicht von ihren Eltern primär. Das ist ein Gottesgeschenk. Sie könnten auch Palästinenser, Eritreer, Iraker oder Syrer sein. Versetzen wir uns doch mal in deren Situation. Umgekehrt muss klar sein: Nochmals 1,1 Millionen Flüchtlinge, wie sie im letzten Jahr in Deutschland registriert worden sind, ein paar doppelt oder gar nicht, überfordern die Verwaltungskraft von Landratsämtern, Gemeinden für die Unterbringung und für die Integration. Das erhöht auch die Bereitschaft, dort das Kreuz zu machen, wo es überhaupt nicht sinnvoll ist.“
Wenn nicht ein europäisches Konzept beschlossen werde und greife, werden es in diesem Jahr mehr als 1,1 Millionen. Maximal 15 Prozent seien in den Arbeitsmarkt integrierbar, die Mehrzahl habe nicht die Ausbildung, die man „in unserem Arbeitsmarkt, in unserer Wirtschaft“ brauche. Oettinger: „Da ist manches Prinzip Hoffnung und manches geschönt.“
Es gelte, die europäischen Außengrenzen zu sichern. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex habe derzeit rund 300 Beschäftigte, notwendig seien indes 5000 – 8000 Grenzschutzbeamte und auch entsprechende Boote. Ferner müsse man mehr Geld in die Hand nehmen, um den betroffenen Menschen in deren Heimat oder benachbarten Ländern zu helfen sowie Menschenwürde und Obdach auf Zeit zu gewähren. „Diese Herausforderung zu meistern, das geht nur europäisch“, unterstrich der EU-Kommissar. Im weiteren Verlauf seiner Rede lobte Oettinger die Agenda 2010, forderte mehr Wettbewerbsdenken und den schnellen Ausbau der Infrastruktur und des Breitbandes: „Wir müssen über die Gigabyte-Gesellschaft sprechen“.
Mit Blick auf die Landespolitik und den grünen Ministerpräsidenten stellte der CDU-Politiker fest: „Kretschmann macht wenig falsch, weil er wenig macht.“ Er glaube nicht, dass Kretschmann im Falle seiner Wahl tatsächlich 5 Jahre lang Regierungschef bleibe. „Und wer kommt dann?“, fragte Oettinger abschließend und erntete für seine mitreißend vorgetragenen Ausführungen großen und langanhaltenden Applaus.
Bundestagsabgeordneter Dr. Stephan Harbarth setzte sich mit der Bilanz der grün-roten Landesregierung auseinander und stellte ihr unter anderem mit Blick auf die Bildung, die Innere Sicherheit, die Finanzen und die Verkehrspolitik ein schlechtes Zeugnis aus. „Der Bund hat für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, welches die grün-rote Landesregierung offenbar getreu ihrem Motto `Wir wollen keine neuen Straßen bauen´ einfach nicht abgerufen hat. Die Begründung war, sie hätten nicht genügend Beamte, um dies zu bearbeiten. Bayern hatte offenbar genügend Beamte, denn der Freistaat nahm dann dieses Geld sehr gerne. Seitdem grüßen die Kollegen der CSU auf den Fluren des Bundestages uns immer besonders freundlich“, berichtete Harbarth aus Berlin.
Bayern investiere ferner jedes Jahr rund 100 Millionen Euro in die Breitbandinfrastruktur, Grün-Rot in Baden-Württemberg käme auf diesen Betrag selbst dann nicht, wenn man die diesbezüglichen Aktivitäten der letzten 5 Jahre zusammenzähle. Stattdessen seien Millionen für die Umbenennung der Studentenwerke in Studierendenwerke ausgegeben worden. „Baden-Württemberg wird von Grün-Rot weit unter Wert regiert und wenn sich das die nächsten 5, 10 oder 15 Jahre fortsetzt, werden wir nur noch Mittelmaß sein. Um diese Weichenstellung wird es am 13. März gehen“, so Harbarth.
Landtagsabgeordneter Karl Klein warnte mit Blick auf die Historie und die aktuelle Asyl- und Flüchtlingspolitik davor, bei der Landtagswahl am 13. März Randparteien zu wählen: „Die Menschen haben schon damals einfachen Lösungen geglaubt. Wozu das geführt hat, das haben wir dann erlebt.“ Die Bürger sollten einen kühlen Kopf bewahren, nicht die Fehler der Vergangenheit begehen und den demokratischen Parteien auch weiterhin vertrauen.
Der CDU-Landtagsabgeordnete beleuchtete ebenfalls die Landespolitik und stellte hierbei unter anderem fest, dass die grün-rote Polizeireform für die Metropolregion „so unnötig wie ein Kropf sei“ und die Polizeirbeit geschwächt habe. Klein wies darauf hin, dass die CDU die Polizei wieder stärken und 1.500 neue Polizeistellen schaffen werde.
Im Beisein des CDU-Vorsitzenden Stephan Seeger und der beiden Parlamentarier Klein und Harbarth trug sich EU-Kommissar Günther H. Oettinger in das „Goldene Buch“ der Gemeinde Dielheim ein, das Bürgermeister Hans-Dieter Weis mit ins Gemeindehaus gebracht hatte. Abschließend dankte Seeger im Namen des CDU-Gemeindeverbandes Dielheim Oettinger für seinen Auftritt in Dielheim-Horrenberg mit einem schönen Geschenkkorb, der regionale Produkte enthielt.
(Text/Foto: Matthias Busse)